Double-Crush-Syndrom: Ursachen, Symptome, Diagnose & Behandlung – verständlich erklärt für Patient:innen
- Roman Welzk | Gründer mein-physio.info

- vor 24 Stunden
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Das Double-Crush-Syndrom beschreibt einen Zustand, bei dem derselbe Nerv an zwei oder mehreren Stellen gleichzeitig eingeengt oder gereizt wird. Dadurch entstehen Beschwerden wie Kribbeln, Taubheit, Schmerzen, Muskelschwäche oder Ausstrahlungen in Arm oder Bein. Besonders häufig sind Nerven der oberen Extremität betroffen – etwa der Medianus, Ulnaris oder Radialis.
Der Begriff „Double Crush“ bedeutet wörtlich: Doppeltes Quetschen. Ein Nerv, der an einer Stelle bereits vorgeschädigt oder mechanisch belastet ist, wird an einer zweiten Engstelle viel empfindlicher – selbst wenn die zweite Engstelle an sich mild wäre. Diese Kombination erklärt, warum manche Patient:innen trotz klassischer Diagnose (z. B. Karpaltunnelsyndrom) zusätzlich Beschwerden im Nacken oder der Schulter haben.
Das Double-Crush-Syndrom ist ein wichtiger Befund in der Orthopädie, Physiotherapie und Neurologie, weil die Behandlung nur dann erfolgreich ist, wenn alle Engstellen gemeinsam berücksichtigt werden.
Wie entsteht das Double-Crush-Syndrom?
Nervenleitung & Kompression – warum zwei Engstellen schlimmer sind als eine
Ein Nerv arbeitet wie ein „Bio-Kabel“. Er transportiert elektrische Signale zwischen Gehirn, Rückenmark, Muskeln und Haut. Wird ein Nerv komprimiert, passieren drei Dinge:
Die interne Blutversorgung (Mikrozirkulation) wird schlechter.
Der axonale Transport – also der Transport von Nährstoffen und Signalmolekülen – wird gestört.
Die Nervenerregbarkeit verändert sich (Überempfindlichkeit oder Abschwächung).
Wenn diese Belastung an zwei Stellen gleichzeitig auftritt, addieren sich die Probleme und verstärken die Symptome deutlich stärker als bei einer einzelnen Engstelle.
Typische Kombinationen beim Double-Crush-Syndrom
Am häufigsten treten folgende Doppelbelastungen auf:
HWS-Engpass + Karpaltunnelsyndrom (C6/C7-Neuropathie + Medianuskompression im Handgelenk)
HWS-Problem + Sulcus-ulnaris-Syndrom (Ulnarisreizung im Ellbogen + Nervenwurzelreizung im Nacken)
Thoracic-Outlet-Syndrom + Medianuskompression (Engpass im Schulterbereich + Engpass im Handgelenk)
Piriformis-Syndrom + Bandscheibenproblematik (Ischiasentzündung + lumbale Nervenwurzelreizung)
Peroneuskompression am Fibulaköpfchen + Bandscheibenreizung L5
Besonders wichtig:Viele Patient:innen denken, sie hätten nur ein Karpaltunnelsyndrom oder nur einen „eingeklemmten Nerv im Nacken“. In Wahrheit verstärken sich die Engstellen gegenseitig – eine Erklärung, warum Beschwerden oft trotz Behandlung wiederkehren.
Symptome: Wie äußert sich das Double-Crush-Syndrom?
Typische Beschwerden der oberen Extremität
Kribbeln in Daumen, Zeige- oder Mittelfinger
Taubheit in der Hand oder am Unterarm
stechende Schmerzen im Handgelenk
Ausstrahlung in Schulter oder Nacken
Kraftverlust (z. B. schwacher Pinzettengriff)
nachts einschlafende Hände
„Ameisenlaufen“ beim Arbeiten am PC
Symptome der unteren Extremität
Ausstrahlende Schmerzen ins Bein oder Gesäß
Brennen oder Taubheit im Fuß
Gefühl von „Wattebeinen“
Belastungsabhängige Schwäche
Ischiasschmerzen bei gleichzeitigem Bandscheibenbefund
Typische Besonderheiten
Die Symptome lassen sich keiner einzelnen Struktur eindeutig zuordnen.
Beschwerden wechseln zwischen zwei anatomischen Regionen (z. B. Nacken ↔ Hand).
Lokale Behandlungen helfen nur kurzzeitig oder unvollständig.
Kompressionen entstehen oft beim Sitzen, Arbeiten, Radfahren oder nachts.
Ursachen: Warum entwickeln manche Menschen ein Double-Crush-Syndrom?
Mechanische Faktoren
dauerhaft statische Belastung (Schreibtischarbeit, Handyhaltung)
Schulter-Nacken-Verspannungen
Engpass im Karpaltunnel oder Sulcus ulnaris
muskuläre Dysbalancen in Schultergürtel oder Beinen
Fehlhaltungen (Rundrücken, Protrahierte Schultern)
Biologische Faktoren
Diabetes
Hypothyreose
Vitaminmangel (v. a. B12)
hormonelle Schwankungen
Narbengewebe
Neurophysiologische Faktoren
Ein vorgeschädigter Nerv braucht weniger Druck, um Symptome zu entwickeln.Beispiel:Eine leichte Kompression im Nacken führt zu erhöhter Empfindlichkeit des Medianusnervs – und eine mild ausgeprägte Karpaltunnelverengung löst plötzlich starke Symptome aus.
Diagnose: Wie wird das Double-Crush-Syndrom erkannt?
1. Klinische Untersuchung
Ein erfahrener Therapeut oder Arzt prüft:
Dermatome (sensibles Verteilungsmuster)
Myotome (Kraft einzelner Muskelgruppen)
Reflexe
Provokationstests (Phalen-Test, Tinel-Zeichen, Spurling-Test)
Haltung, Beweglichkeit, muskuläre Dysbalancen
Wichtig ist die Frage:Treten die Symptome durch zwei verschiedene regionale Tests auf?Wenn ja, ist ein Double-Crush sehr wahrscheinlich.
2. Elektrophysiologische Untersuchungen
Nervenleitgeschwindigkeit (ENG)
EMG
Diese Tests zeigen, ob und wo der Nerv beeinträchtigt ist.
3. Bildgebung
Je nach Verdacht:
MRT der Halswirbelsäule
MRT des Ellbogens oder Handgelenks
Ultraschall des Karpaltunnels
4. Ausschlussdiagnostik
Da Nervenstörungen viele Ursachen haben, sollten folgende ausgeschlossen werden:
Diabetes
Vitaminmängel
systemische Erkrankungen
entzündliche Prozesse
Behandlung: Was hilft wirklich beim Double-Crush-Syndrom?
Wichtige Grundregel der Therapie
Eine Engstelle zu behandeln reicht nicht.Ein Double-Crush-Syndrom bessert sich nur dann nachhaltig, wenn beide oder alle betroffenen Kompressionsstellen gleichzeitig therapiert werden.
Physiotherapie – das zentrale Element der Behandlung
1. Nervenmobilisation (Neurodynamik)
Gezielte Mobilisationstechniken verbessern:
Nervenbeweglichkeit
axonalen Transport
Durchblutung
Schmerzwahrnehmung
Beispiele:
Medianus-Slider
Ulnaris-Glider
Radialis-Mobilisation
Ischias-Mobility bei Double Crush Bein
2. Manualtherapie
Behandlung von:
HWS-Gelenkblockierungen
thorakalen Engstellen
muskulären Verspannungen
Schultermobilität
Faszienrestriktionen
3. Krafttraining & Haltungskorrektur
Wichtig für nachhaltige Verbesserung:
Schulterblattstabilisation
Kräftigung der tiefen Nackenmuskulatur
Core-Training
Verbesserung ergonomischer Muster
4. Ergonomie-Anpassung
Arbeitsplatzoptimierung
Pausenmanagement
korrekte Position von Tastatur & Maus
Handyhaltung
Konservative Therapie ergänzend
Hilfsmittel
Schienen (z. B. nachts beim Karpaltunnelsyndrom)
Ellbogenbandagen
ergonomische Unterarmauflagen
Medikamentöse Therapie
(ärztlich gesteuert)
NSAR in akuten Phasen
entzündungshemmende Maßnahmen
bei neuropathischen Schmerzen ggf. spezifische Medikamente
Operative Therapie – nur wenn notwendig
Eine Operation wird erwogen, wenn:
Nervenleitgeschwindigkeit stark reduziert ist
progressive Muskelschwäche entsteht
konservative Therapie über ≥ 3–6 Monate erfolglos bleibt
Operationen richten sich nach der Engstelle:
Karpaltunnelspaltung
Dekompression im Sulcus ulnaris
operative Entfernung von Struktureinschränkungen
Wichtig:Auch nach einer OP muss die zweite Engstelle weiterhin behandelt werden, damit die Symptome nicht zurückkehren.
Prognose: Wie gut kann ein Double-Crush-Syndrom heilen?
Die Prognose ist gut, wenn:
die Diagnose früh gestellt wird
alle Engstellen gleichzeitig behandelt werden
der Patient Ergonomie & Haltung anpasst
ein strukturiertes Neurodynamik- und Trainingsprogramm erfolgt
Schlechte Prognosen bestehen bei:
langjähriger Nichtbehandlung
Diabetes
anhaltender Überlastung am Arbeitsplatz
fehlender Therapie der Primärengstelle (z. B. HWS)
Fazit: Warum das Double-Crush-Syndrom oft übersehen wird – und wie man es erfolgreich behandelt
Das Double-Crush-Syndrom ist weit verbreitet, wird aber häufig falsch diagnostiziert, weil Symptome aus zwei unterschiedlichen Regionen gleichzeitig kommen. Die beste Behandlung besteht aus einer Kombination aus:
gezielter Physiotherapie
Nervenmobilisation
Haltungstraining
ergonomischer Optimierung
ggf. medikamentöser & operativer Unterstützung
Nur wenn alle Kompressionsstellen gleichzeitig adressiert werden, kann der Nerv sich erholen und die Beschwerden dauerhaft verschwinden.
Wissenschaftliche Primärquellen & Studien
1. Upton AR, McComas AJ. (1973).The Double Crush in Nerve Entrapment Syndromes.The Lancet.→ Originalbeschreibung des Double-Crush-Konzepts und Grundlage der heutigen Diagnostik.
2. Dellon AL. (1991).Susceptibility of Nerves to Compression Neuropathy: Double Crush Hypothesis Revisited.Journal of Hand Surgery.→ Zeigt, warum vorgeschädigte Nerven besonders anfällig für zusätzliche Engstellen sind.
3. Wilbourn AJ. (2002).The “Double Crush Syndrome” Revisited.Neurologic Clinics.→ Kritische Analyse der Pathophysiologie und klinischen Relevanz.
4. Mackinnon SE. (2002).Pathophysiology of Nerve Compression.Hand Clinics.→ Anatomische und neurophysiologische Grundlagen für multiple Nervenkompressionen.
5. Kwon HK, Hwang M et al. (2006).Double Crush Syndrome in Patients With Cervical Radiculopathy and Carpal Tunnel Syndrome.Journal of Korean Neurosurgical Society.→ Klinischer Nachweis der häufigen Kombination HWS + Karpaltunnel.
6. Osterman AL. (1988).The Double Crush Syndrome.Orthopedic Clinics of North America.→ Übersicht typischer Double-Crush-Kombinationen im oberen Extremitätenbereich.
7. Shah CM et al. (2012).Double Crush Syndrome: A Critical Review. PM&R Journal.→ Modernes Review über Diagnostik, Therapie und Evidenz.
Quellen zu Neurodynamik & manueller Therapie
8. Butler DS. (1991).Mobilisation of the Nervous System.Churchill Livingstone.→ Standardwerk der Neurodynamik; erklärt Beweglichkeit & Sensitivität peripherer Nerven.
9. Shacklock M. (2005).Clinical Neurodynamics: A New System of Neuromusculoskeletal Treatment.Elsevier.→ Moderne neurodynamische Ansätze, die besonders beim Double Crush genutzt werden.
10. Bove GM, Delany SP. (2010).Nerve Gliding Exercises in the Treatment of Entrapment Neuropathies.Pain Medicine.→ Evidenzbasis für Nervenmobilisation (Slider & Tensioner).
Klinische Studien und Übersichtsarbeiten
11. Babayev M et al. (2017).Association of Cervical Radiculopathy With Carpal Tunnel Syndrome: Revisiting the Double Crush Hypothesis.HAND Journal.→ Zeigt das erhöhte Risiko eines Karpaltunnelsyndroms bei gleichzeitigem HWS-Engpass.
12. De-la-Llave-Rincón AI et al. (2012).Physical Therapy Treatment in Patients With Nerve Entrapment Syndromes.Journal of Manual & Manipulative Therapy.→ Belegt physiotherapeutische Wirksamkeit bei multiplen Engpasssyndromen.
13. Elfar JC et al. (2014).Nerve Compression Syndromes of the Upper Limb.Journal of Hand Surgery.→ Überblick über relevante Kompressionsorte, die beim Double Crush zusammenspielen.
Artikel geprüft von: Roman Welzk




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