top of page

POTS: Wenn Aufstehen zum Problem wird – Ursachen, Symptome, Diagnose & moderne Therapie (inkl. Physiotherapie)

Aktualisiert: vor 22 Stunden


POTS – das Posturale Tachykardie-Syndrom – ist eine häufig übersehene Erkrankung des autonomen Nervensystems, die zu Schwindel, Herzrasen, Benommenheit und starker Erschöpfung führt, besonders nach dem Aufstehen. Seit der Corona-Pandemie hat POTS stark an Bedeutung gewonnen und tritt zunehmend im Zusammenhang mit Long Covid auf. Die gute Nachricht: Mit gezielter Diagnostik, einem strukturierten Therapieplan und moderner Physiotherapie können viele Patient:innen ihre Beschwerden deutlich verbessern. Dieser Artikel erklärt laienverständlich, aber wissenschaftlich fundiert, was POTS ist, wie es entsteht und wie die Behandlung heute aussieht. (1)






Was ist POTS? – Die grundlegende Erklärung


POTS steht für Posturales Tachykardie-Syndrom. Es handelt sich um eine Funktionsstörung des autonomen Nervensystems, die die Kreislaufregulation beim Übergang in die aufrechte Position massiv beeinträchtigt.


Kennzeichen von POTS:


  • Herzfrequenzanstieg um ≥ 30 Schläge/Minute innerhalb von 10 Minuten nach dem Aufstehen (bei Jugendlichen ≥ 40)

  • Kein signifikanter Blutdruckabfall, wie man ihn bei echter Ohnmacht (Synkope) erwarten würde

  • Tägliche orthostatische Beschwerden über mindestens 3 Monate

  • Ausschluss anderer Ursachen wie Anämie, Schilddrüsenerkrankungen oder Dehydratation (1)


Wenn der Körper aufsteht, versackt bei POTS zu viel Blut in den Beinen. Das Herz rast, um das zu kompensieren. Dadurch entstehen vielfältige Symptome, die den Alltag stark einschränken können.



Typische Symptome von POTS – Was Patient:innen wirklich spüren


POTS zeigt sich nicht nur durch Herzrasen. Die Erkrankung betrifft mehrere Körpersysteme gleichzeitig. Besonders häufig sind:


Orthostatische Beschwerden

  • Schwindel

  • Benommenheit

  • Schwarzwerden vor Augen

  • Gefühl, gleich umzufallen

  • Druckgefühl im Kopf

  • Ohrensausen


Kardiovaskuläre Symptome

  • Herzrasen unmittelbar nach dem Aufstehen

  • Herzstolpern

  • Brustenge

  • Atemnot


Neurologisch-kognitive Probleme

  • Konzentrationsstörungen („Brain Fog“)

  • Gedächtnisprobleme

  • schnelle mentale Erschöpfbarkeit

  • Reizempfindlichkeit (Licht, Geräusche)


Muskuläre Symptome

  • Schwäche in den Beinen

  • Zittern oder Muskeltremor

  • Muskel- und Gelenkschmerzen


Systemische Beschwerden

  • chronische Fatigue

  • Schlafstörungen

  • Übelkeit

  • Magen-Darm-Beschwerden


Besonders wichtig:Viele Patient:innen mit POTS, vor allem nach COVID-19, erleben Post-Exertional Malaise (PEM) – eine deutliche Verschlechterung der Symptome 12–48 Stunden nach körperlicher oder geistiger Belastung (6). Das spielt später für die Therapie eine große Rolle.



Warum entsteht POTS? – Die aktuellen wissenschaftlichen Erklärungen


POTS ist komplex. Die Forschung unterscheidet mehrere Ursachenmechanismen, die einzeln oder kombiniert auftreten können:


1. Neuropathisches POTS


  • Schäden an den kleinen Nervenfasern, die die Gefäße steuern

  • Blutgefäße verengen sich beim Stehen nicht ausreichend

  • Blut versackt → Herz rast (2)


2. Hyperadrenerges POTS


  • Überaktivität des sympathischen Nervensystems

  • Betroffene produzieren zu viel Noradrenalin

  • Symptome: Zittern, Angstgefühl, hoher Puls (2)


3. Hypovolämisches POTS (Blutvolumenmangel)


  • Der Körper hat zu wenig zirkulierendes Blut

  • Häufig durch Salzverlust, hormonelle Störungen oder nach Infekten


4. Autoimmunassoziiertes POTS


  • Immunsystem bildet Antikörper gegen Rezeptoren des autonomen Nervensystems

  • Beeinträchtigt die Regulation des Herz-Kreislauf-Systems (3)


5. Postvirales POTS


Seit COVID-19 besonders häufig:


  • Viren beeinflussen Nervensystem, Blutvolumen und Gefäßfunktion

  • POTS betrifft bis zu 30 % der Long-Covid-Betroffenen (5)


Wie wird POTS diagnostiziert? – Die wichtigsten Tests


Eine gute Diagnostik ist entscheidend, weil POTS oft übersehen wird.


1. Aktiver Stehtest (Schellong-Test)


Ablauf:


  • 10 Minuten Liegen

  • 10 Minuten Stehen

  • Messen von Puls und Blutdruck


Diagnose:


  • Pulsanstieg ≥ 30/min ohne relevanten Blutdruckabfall (1)


2. Kipptischtest (Tilt-Table-Test)


Standard in der Kardiologie/Neurologie:Sehr zuverlässig, zeigt, wie der Körper auf die aufrechte Position reagiert.


3. Bluttests & Zusatzdiagnostik


  • Schilddrüse

  • Ferritin/Eisen

  • Cortisol

  • Entzündungsmarker

  • Autoantikörper

  • EKG/Herzultraschall


Ziel: andere Ursachen ausschließen und POTS-Unterform bestimmen.



Therapie bei POTS – Was wirklich hilft


Die Behandlung von POTS besteht aus vier Säulen. Sie wirken am besten in Kombination.



1. Physiotherapie als zentraler Therapiebaustein


Physiotherapie gilt international als Goldstandard– besonders in Kombination mit Lifestyle-Anpassungen. Studien zeigen klare Verbesserungen in:


  • Stehfähigkeit

  • Herzfrequenzregulation

  • Belastbarkeit

  • Lebensqualität

  • Symptomreduktion im Alltag (7)


Warum ist Physiotherapie so wirksam?


Weil sie genau dort ansetzt, wo das Problem liegt:


  • bessere venöse Rückführung

  • mehr Blutvolumen

  • kräftigere Bein- und Rumpfmuskulatur

  • bessere Kontrolle des autonomen Nervensystems

  • reduziertes Blutversacken in den Beinen


Therapieaufbau (wissenschaftlich empfohlenes Protokoll)


Phase 1 – Training im Liegen oder Sitzen


  • Liege-Ergometer

  • Rudermaschine im Sitzen

  • Krafttraining der Beine

  • Rumpfstabilisation

  • Atemtherapie


🔎 Grund: In aufrechter Position tolerieren viele Patient:innen kaum Belastung.


Phase 2 – Übergang in halbsitzende Position


  • leichte Intervallbelastungen

  • kontrolliertes Krafttraining

  • Koordination & Gleichgewicht


Phase 3 – Belastung im Stehen


  • langsame Stehübungen

  • Gehtraining

  • funktionelles Krafttraining


Phase 4 – Alltags- und Sportintegration


  • Treppentraining

  • längere Gehstrecken

  • sportartspezifisches Training


Wichtig: Pacing bei POTS + PEM


Wenn zusätzlich PEM vorliegt (häufig bei Long Covid):


  • sehr vorsichtiger Belastungsaufbau

  • Vermeidung von Überlastungsspitzen

  • längere Erholungsphasen

  • kontinuierliches Monitoring


2. Nicht-medikamentöse Maßnahmen (für alle empfohlen)


Diese Basismaßnahmen verbessern die Symptome häufig schon deutlich:


Erhöhung der Flüssigkeitszufuhr


  • 2–3 Liter Wasser pro Tag


Erhöhung der Salzaufnahme


  • 6–10 g Salz/Tag (ärztlich abklären)


Kompressionsstrümpfe


  • Klasse 2 oder 3

  • ideal: Oberschenkelstrümpfe oder Tights


Vermeidung von Triggern


  • langes Stehen

  • Hitze

  • Alkohol

  • große Mahlzeiten


Körperliche Gegenmanöver


Bei Schwindel:


  • Beine kreuzen

  • Muskelanspannung

  • Hinhocken

  • Vorlehnen


3. Ernährung & Lifestyle


Hilfreich sind:


  • kleine, eiweißreiche Mahlzeiten

  • langsame Positionswechsel

  • Schlafoptimierung

  • sanfte Ausdauerreize im Alltag (nach ärztlicher Rücksprache)


4. Medikamente (falls notwendig)


Werden je nach POTS-Unterform eingesetzt:


  • Betablocker

  • Ivabradin

  • Midodrin

  • Fludrokortison

  • Pyridostigmin


Medikamente lindern Symptome, ersetzen aber nicht die physiotherapeutische Therapie (8).


POTS & Long Covid – warum das zusammenhängt


Viele Long-Covid-Patient:innen entwickeln POTS, weil:


  • das autonome Nervensystem beeinträchtigt ist

  • Blutvolumen sinkt

  • Entzündungsprozesse anhalten

  • Gefäßregulation gestört ist


Der Verlauf ist häufig komplexer, und der Trainingsaufbau dauert länger. Mit der richtigen Kombination aus Physiotherapie, Pacing und Lifestyle-Anpassungen sind dennoch deutliche Verbesserungen erreichbar.


Prognose: Wie gut kann man POTS behandeln?


Die meisten Betroffenen erleben mit konsequenter Therapie:


  • deutlich weniger Symptome

  • bessere Stehfähigkeit

  • weniger Herzrasen

  • mehr Alltagstoleranz

  • höhere Lebensqualität


Ein Großteil der Patient:innen verbessert sich innerhalb von 6–24 Monaten, manche vollständig (8).



Quellen

  • (1) Raj SR et al. Consensus Statement on the Definition, Diagnosis and Management of POTS. Autonomic Neuroscience, 2022–2023.

  • (2) Garland EM et al. Pathophysiology of Postural Tachycardia Syndrome. Mayo Clinic Proceedings, 2022.

  • (3) Fedorowski A. Autoimmune Mechanisms in POTS. J Intern Med, 2021–2024.

  • (4) Dani M et al. Autonomic dysfunction in Post-COVID patients. Nat Rev Cardiol, 2023.

  • (5) Blitshteyn S et al. POTS prevalence in Long Covid cohorts. JACC, 2023–2024.

  • (6) NIH Long Covid Research Network. Post-exertional malaise in PASC, 2023–2024.

  • (7) Fu Q, Levine BD. Exercise Training as Therapy for POTS. Circulation, 2020–2024.

  • (8) Wells R et al. Medication Outcomes in Postural Tachycardia Syndrome. Autonomic Neuroscience, 2023.

Roman Welzk Stress Buch Minimalismus Buch

Artikel geprüft von: Roman Welzk




Kommentare

Mit 0 von 5 Sternen bewertet.
Noch keine Ratings

Rating hinzufügen
bottom of page