Patellofemorales Schmerzsyndrom (PFSS): Wenn die Kniescheibe zur Schmerzquelle wird
- Roman Welzk | Gründer mein-physio.info
- 8. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Das patellofemorale Schmerzsyndrom (PFSS) – auch bekannt als retropatellarer Schmerz, femoropatellares Schmerzsyndrom oder umgangssprachlich „vorderer Knieschmerz“ – ist eine der häufigsten orthopädischen Diagnosen bei jungen, aktiven Menschen. Besonders betroffen sind Läufer:innen, Radfahrer:innen, sportlich aktive Jugendliche, aber auch Berufstätige mit sitzender Tätigkeit.
In diesem Artikel erfährst du, was PFSS ist, wie es entsteht, welche Symptome typisch sind, wie du es behandelst und – vor allem – wie du es dauerhaft loswirst.
Was ist das patellofemorale Schmerzsyndrom?
Das PFSS beschreibt Schmerzen im Bereich des vorderen Knies, insbesondere hinter oder um die Kniescheibe herum (retropatellar), die durch eine gestörte Biomechanik des Patellagleitlagers verursacht werden. Die Kniescheibe (Patella) gleitet bei jeder Kniebeugung über den Oberschenkelknochen (Femur) in einer Rinne (Trochlea). Ist diese Bewegung nicht zentriert, kommt es zu vermehrter Reibung, Überlastung und Reizung des Knorpels und umliegender Strukturen.
Häufige Ursachen für PFSS
PFSS ist ein multifaktorielles Beschwerdebild, oft ohne klaren Unfall oder Auslöser. Die häufigsten Risikofaktoren:
1. Muskuläre Dysbalancen
Schwäche des M. vastus medialis obliquus (innerer Oberschenkelmuskel)
Dominanz des äußeren Oberschenkelmuskels → Patellazug nach lateral
2. Fehlstellungen und Beinachsenprobleme
X-Beine (Genu valgum) → vermehrter Druck auf den äußeren Patellarand
Überpronation des Fußes → funktionelle Kippung des Oberschenkels
Beckeninstabilität durch schwachen Gluteus medius
3. Sportliche Überlastung
Häufig bei Läufern, Radfahrern, Fußballspielern
Intensive oder falsch dosierte Belastung ohne ausreichende Regeneration
4. Haltung und Alltag
Langes Sitzen mit gebeugtem Knie („Kinosyndrom“)
Ungünstige Belastung im Alltag, z. B. häufiges Treppensteigen oder Hocken
Symptome des PFSS
Typisch sind:
Schmerzen vorderseitig am Knie, v. a. hinter oder um die Kniescheibe herum
Schmerz bei:
Treppensteigen (v. a. bergab)
Längeres Sitzen mit angewinkeltem Bein
Hocken, Beugen, Radfahren
Gefühl von Reiben, Knirschen oder Instabilität
Druckschmerz auf die Kniescheibe
Keine sichtbare Schwellung
Diagnose: Wie wird PFSS festgestellt?
Ein erfahrener Orthopäde oder Physiotherapeut wird folgende Punkte untersuchen:
Beinachse und Statik
Muskuläre Balance (Oberschenkel, Hüfte, Fuß)
Zohlen-Zeichen: Druck auf die Patella mit gleichzeitiger Anspannung des Quadrizeps → Schmerz positiv
Clarke-Test: Anspannungstest zur Beurteilung der Patellaführung
Bildgebung:
Röntgen (Beurteilung der Patellastellung, z. B. Patella alta)
MRT bei Verdacht auf Knorpelschäden oder anatomische Fehlformen
Bewegungsanalyse (optional, sportartspezifisch)
Therapie des patellofemoralen Schmerzsyndroms
Die gute Nachricht: PFSS ist sehr gut konservativ behandelbar, wenn man gezielt auf die Ursachen eingeht. Eine Operation ist in den allermeisten Fällen nicht nötig.
1. Bewegungs- und Belastungsanpassung
Reduktion schmerzauslösender Aktivitäten (z. B. Tiefkniebeugen, Treppenlaufen, Sprint)
Belastungserhalt ohne Schmerz: z. B. Radfahren mit geringer Last
2. Physiotherapie
Ziel: Optimierung der Patellaführung und Beinachsenkontrolle
Kräftigung M. vastus medialis
Hüftstabilisation (v. a. Gluteus medius/maximus)
Koordinationsübungen im Einbeinstand
Beinachsenkorrektur bei Kniebeugen / Ausfallschritten
Mobilisation der Patella
3. Dehn- und Faszienarbeit
Quadrizeps
Hüftbeuger
Tractus iliotibialis
Faszienrolle für Oberschenkelvorder- und -außenseite
4. Taping / Bandagen
Patellazentrierendes Kinesiotape
Weiche Patellabandagen mit Führungsschiene (zeitlich begrenzt)
5. Einlagenversorgung
Bei Fußfehlstellungen sinnvoll zur Optimierung der Kettenfunktion
Trainingsbeispiele
🔹 Wall-Sit mit Miniband
Aktiviert den vastus medialis isometrisch
Miniband hilft bei korrekter Knieachse
🔹 Side Steps mit Band
Kräftigt den Gluteus medius zur Stabilisierung der Beinachse
🔹 Step-down (kontrolliertes Absenken auf einem Bein)
Verbessert die exzentrische Kontrolle der Beinachse
Wie lange dauert die Heilung?
Die Dauer hängt vom Schweregrad, der Alltagsbelastung und der Konsequenz der Therapie ab. In der Regel:
Akute Form: Besserung in 4–8 Wochen
Chronische Beschwerden: 3–6 Monate Rehabilitationszeit
Rückfallprophylaxe: Langfristig regelmäßiges Training nötig
Kann man mit PFSS Sport machen?
Ja – aber:
Belastung modifizieren, z. B. keine Sprünge oder Kniebeugen unter 60°
Technik optimieren
Regelmäßige Stabilisationsübungen
Alternativen: Radfahren, Schwimmen, Aquajogging, Nordic Walking
Prognose: Wird es wieder ganz weggehen?
Bei frühzeitiger und gezielter Behandlung: Ja!Die Erfolgsquote konservativer Therapie liegt bei über 90 % – vorausgesetzt, das Training ist konsequent, korrekt und langfristig angelegt.
Fazit: PFSS ist behandelbar – mit der richtigen Strategie
Das patellofemorale Schmerzsyndrom ist ein funktionelles Beschwerdebild mit sehr guten Heilungschancen. Es verlangt allerdings eine ganzheitliche Herangehensweise: muskuläre Balance, Bewegungsverhalten, Alltagshaltung, Sporttechnik und ggf. Hilfsmittel müssen individuell angepasst werden. Wer aktiv mitarbeitet, kann schmerzfrei und stabil ins Leben zurückkehren – ohne Operation.
Commentaires